Wenn ich an meinen Glauben denke, an mein tägliches Gebet, an meine Haltung zu bestimmten kirchenspezifischen Fragen, an meine Mitnahme der Tugenden Gottes in mein tägliches Schaffen, dann bin ich auch nach all der Zeit mehr denn je davon überzeugt, dass die Menschen im Glauben einen gewaltigen Mehrwert finden können. Ich habe ihn bereits gefunden und profitiere jeden Tag von ihm, da er meine Haltung zu weltlichen Themen, ethischen Werten und philosophischen Gedanken maßgeblich beeinflusst. Er macht mich offener für jeder Art der Unterschiedlichkeit, er gibt mir Halt und Sicherheit in stürmischen Zeiten, er ist eine Absicherung, ein Anker, der es mir erlaubt, auch mal Verantwortung abzugeben und auf etwas Höheres als mein eigenes Tun zu vertrauen.
Aber verlassen wir für einen Moment diesen Gedanken, denn zu meiner Überzeugung gehört auch die These, dass es im Glauben, in jedweder Religion oder spirituellen Ausrichtung, bei der am anderen Ende eine übergeordnete Macht vermutet wird, nicht ausschließlich darum geht, nur einen Mehrwert für uns selbst davonzutragen. Sicherlich macht dieser Mehrwert den Glauben zu einer echten Bereicherung für unser Leben, macht ihn so wertvoll für unseren turbulenten Alltag.
Daneben geht es aber auch darum, einfach mal dankbar zu sein, Demut zu zeigen, ja sogar Liebe zu empfinden. Grotesker Gedanke? Ich denke nicht. Einer Mutter gegenüber empfinden wir Liebe, weil sie uns auf die Welt gebracht hat und immer für uns sorgt. Was für eine Liebe könnten wir da erst für ein Wesen, eine übergeordnete Macht verspüren, die nicht nur uns selbst, sondern auch all unseren Freunden, unseren Familien, einem jeden Menschen das Leben geschenkt hat und fortan für ihn sorgt.
Manchmal sind wir Menschen so Ich-zentriert, dass es in unserem Denken und Handeln nur um das eigene Wohl, den eigenen Fortschritt gehen kann, egal bei welcher Sache. Aber wie in jedem anderen Lebensbereich stoßen wir mit dieser Einstellung irgendwann auf Widerstand, kommen nicht weiter, stecken fest. Was es dann braucht, im Grunde schon zuvor gebraucht hat, ist ein Gleichgewicht zwischen dem, was man nimmt, und dem, was man zurückgibt. Warum sollte der Glaube hier eine Ausnahme sein? Keine Beziehung kann funktionieren – und um nichts anderes handelt es sich bei der für mich persönlichsten aller Verbindungen, die ich pflege –, wenn sich alles nur um den eigenen Kosmos dreht. Für mich handelt es sich bei der Auseinandersetzung mit seiner religiösen Ader ebenfalls um ein Miteinander, einen Austausch, auch wenn man zugegeben häufig das Gefühl bekommt, die Hauptrednerrolle innezuhaben. Doch nur, weil Gott sich nicht gegenübersetzt und mit der Sprache der Homosapiens antwortet, heißt das nicht, dass er überhaupt keine Antwort gibt.
Wie bereits eingangs erwähnt, kann ich aus eigener Erfahrung versichern, dass man sehr viel Positives für sich selbst gewinnen kann. Der Glauben macht mein Leben lebenswerter, macht mich angstfreier, gibt mir die Macht zu träumen und das Vertrauen, dass meine Bitten erhört werden. Er schenkt mir das Gefühl beschützt und geborgen zu sein, motiviert mich dahingehend, täglich mein Bestes zu versuchen, verhilft mir zur Ruhe, wann immer ich sie nötig habe, zeigt mir häufig Wege und Richtungen, wenn ich vor Weggabelungen stehe und nicht weiter weiß. Am Tiefgreifendesten von allen seinen Mitgiften wirkt er befreiend, er macht mich tolerant und offen, er eröffnet mir eine Sicht, die über den eigenen Tellerrand hinausreicht. Er schenkt mir inneren Frieden und Ausgeglichenheit. Fordert Geduld und Verständnis in mir zu Tage und leitet mich vor allem auch in meinem immer währenden Bestreben, die beste Version meiner selbst zu sein.
Will man da nicht von sich aus etwas zurückgeben? Nicht in Form von Geld oder materiellen Gütern, vielmehr spreche ich davon, sein Herz zu öffnen, dankbar für das wunderbare Geschenk des Lebens zu sein und Achtung vor der Schöpfung zu haben. Und mit Schöpfung meine ich alles um uns herum, die Natur, die Mitmenschen, die Erde, die Tierwelt und nicht zuletzt das Weltall. Sind das nicht letztlich nicht Tugenden, die neben einem guten Gläubigen vor allem einen guten Menschen ausmachen? Ist es nicht in jeder gesunden Partnerschaft so, dass es nicht nur um uns selbst gehen darf, sondern auch um unser vertrautes und geschätztes Gegenüber, welches uns von innen heraus strahlen lässt. Nochmal: Wieso sollte das im Glauben anders sein?
Der angesprochene Mehrwert liegt doch vor allem auch im allseits bekannten Zitat „geben ist seliger denn nehmen“ beheimatet. Darin steckt so viel Wahres, denkt man nur daran, wie sehr es uns zu Weihnachten freut, einer anderen Person ein Geschenk zu machen und daraufhin deren leuchtende Augen zu sehen.
Ich für meinen bescheidenen Teil denke, dass man ohnehin viel mehr aus seinem Glauben ziehen kann, als man geben muss. Dennoch gehört auch Letzteres dazu. Wenn man den Glauben für sich entdeckt, egal in welcher Form oder Religion, dann findet man darin oft einen sicheren Hafen, einen Ablageort für Sorgen und Nöte. Ich schätze, der liebe Gott ist der wohl größte Kummerkasten, der existiert. Unmengen von Problemen, Ängsten, allen voran Bitten muss er sich in jeder Sekunde anhören. Holt man sich das einmal bildlich auf unsere Verständnisebene herunter, so wird sehr schnell klar, dass wir ihm auch mal etwas anderes als unsere negativen Gefühle an den Kopf werfen sollten. Ein Wesen, dessen zentraler Inbegriff, dessen Kernthema die Liebe ist, braucht dies auch als Gabe unsererseits.
In meinem Glauben, aber auch in fast allen anderen Religionen geht es letztlich darum, sich eben nicht immer nur die Rosinen herauszupicken. Und mit Rosinen sind all jene Dinge gemeint, die einfach anzunehmen sind und nicht allzu viel von einem fordern. So oft höre ich den Satz „ich glaube ja an Gott, aber das und das möchte ich nicht machen. In die Kirche gehen, warum auch? Beten? Nur wenn’s mir schlecht geht und ich dringend etwas brauche.“
Für uns Menschen würde solch eine Beziehung niemals funktionieren. Einen Freund, der immer nur kommt, wenn er etwas braucht oder es ihm schlecht geht, der nie nach uns fragt oder uns etwas Gutes tut, einen so egoistischen Gegenpol hätten wir längst in den Wind geschossen.
Gott aber akzeptiert das, er liebt uns trotzdem, einen jeden von uns. Dennoch bin ich der Meinung, er hat es verdient, dass wir uns ein wenig mehr um ihn bemüht machen.
Ein letzter Gedanke: Nehmen wir für einen Moment an, dass es Gott wirklich gibt, welch Enttäuschung muss er dann beim Gedanken an unsere immer stärker zunehmende Abkehrung von ihm verspüren. Ein Vater, dessen Kinder ihm scharenweise davonlaufen.
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