Wieso geschehen Dinge, von denen wir gar nicht wollen, dass sie geschehen? Welch dunkle Mächte treiben dabei ihr Unwesen und ist wirklich Gott automatisch für all das Böse und Unglückliche in unserer Welt verantwortlich? Machen wir es uns mit solch einer Haltung nicht ein wenig zu einfach, oder ist es schlicht menschlich, stets die Schuld und die Verantwortung weiterzuschieben, wie es jeden Tag so vielerorts praktiziert wird.
Bequem ist es allemal, voller Ignoranz zu behaupten, alles Schlechte habe seinen Ursprung dort oben und mit emporgerissenen Armen Gott zu verfluchen, zu verteufeln und hinaus zu brüllen, wie er nur all diese schlimmen Dinge geschehen lassen kann und dabei einfach nur untätig zusieht.
Ist es in Wahrheit nicht vielmehr die einfachste Lösung, der naheliegendste Trumpf, alles einem Bestimmten in die Schuhe schieben zu können oder die zweifelsohne global um sich schlagende Ungerechtigkeit als empirischen Beweis dafür anzuführen, dass es Gott überhaupt nicht geben kann? Ein wenig absonderlich, wo wir doch in unserem fortschrittlichen Denken und Tun tagtäglich die Wissenschaft nach vorn peitschen, um dadurch selbst gottähnlich zu werden. Verblenden wir dabei nicht die leise, tippende Stimme, die da ungewollt flüstert, dass ein großer Teil des Übels auf der Welt eindeutig von Menschenhand, und nicht Gotteshand, heraufbeschworen wird.
Mein Freund, solch tiefgreifende Gedanken verschonen mich häufig des Tags, nur um mich bei Nacht umso mehr zu plagen. Auch ich bin ein Sucher, ein Sucher nach der Wahrheit, nach Antworten auf Fragen, die ich mir selbst nicht stellen möchte, es aber dennoch muss.
Nun ja, ich – für meinen zumindest nach Bescheidenheit strebenden Teil – versuche seit jeher, aus allem, was geschieht, etwas Positives zu ziehen. Der Versuch hierbei ist echt und ich sage so etwas nicht leichthin. Denn natürlich werden jetzt Stimmen laut, die mir gerne entgegen schmettern würden, was es denn bitteschön Positives am Krieg in der Welt, an Unfällen, Katastrophen oder an beispielsweise dem hier in Freiburg vor einigen Jahren so publik gewordenen Mord an dieser armen Studentin zu finden gäbe. Die Betonung liegt, wie bei so vielem, auf einer feinen, aber entscheidenden Nuance, nämliche auf dem Verb: ich versuche es. Was noch lange nicht bedeutet, dass es mir auch stets gelingt. Einen Sinn oder etwas Rechtfertigendes in solch grausamen Geschehnissen zu suchen, wäre vermessen und stünde mir überhaupt nicht zu, dennoch ist es einfach mein Wesen, nach Positivem zu ahnden, wo immer ich es finden könnte.
Um kurz auf die Eltern dieses eben erwähnten, armen Mädchens zu sprechen zu kommen, so habe ich etwas Beeindruckendes über sie gelesen. Nicht nur, wie sie mit der Situation und dem nach der Tat rasch aufgekommenen Fremdenhass auf unnachahmliche Weise umgegangen sind, und das trotz ihres himmelschreienden Verlustes, sondern auch ihre späteren Aussagen haben mir stark zu denken gegeben. So sagten sie in einem Interview, dass sie – bezogen auf die Tat – nicht nach dem Warum suchen werden, weil es darauf keine Antwort gebe. Sie sagten auch, auf die Frage hin, wie Gott so etwas nur hatte zulassen können, dass er es überhaupt nicht gewollt hätte. Sie meinten, Gott würde das Böse nicht wollen, aber er habe uns als freie Menschen erschaffen und uns damit auch die Möglichkeit gegeben, Böses zu tun. Und damit sprechen sie mir aus tiefer Seele und möglicherweise besteht gerade darin die Antwort auf die oben genannten fragenden und wütenden Stimmen.
Der freie Wille des Menschen, darüber zu entscheiden, ob er Böses tun möchte oder nicht, ist in meinem Verständnis die entscheidende Komponente. Ob er dabei von anderen zum Bösen getrieben wurde, die allesamt ebenfalls über einen freien Willen verfügen, ist eine anderer Aspekt. Denn wo werden diese sogenannten Monster erschaffen, die Frauen oder anderen Menschen solches Leid antun? Im Himmel, im Mutterleib oder vielmehr in unserer Welt, die von uns tagtäglich mitgestaltet wird? Kommt man bereits als böser Mensch auf die Erde? Eine Frage, die, wie so viele andere, sicher ihre Anhänger finden wird. Doch wo fängt man an, wo hört man auf, und wer ist Richter über all das. Wir Menschen?
Und wenn jeder Richter sein will und meint, zu kennen und zu wissen, was richtig und falsch, was gut und böse ist, wer hat dann am Ende Recht? Wer entscheidet, wenn es hunderte oder gar Millionen von verschiedenen Meinungen und Richtern gibt? Gerade jetzt, in Zeiten der Corona Krise, spüre ich dieses Phänomen deutlicher als je zuvor, weil jeder lauthals losbrüllt, urteilt und verkündet, was die richtige Vorgehensweise zu sein scheint und was bis dato alles falsch gemacht und fehl entschieden worden sei.
Was wir dabei gerne ausblenden, ist die Tatsache, dass auch Regierende und Experten Menschen sind, die sich wie auch wir Normalbürger einem solchen Chaos vorher noch nie gegenübersahen. Und was macht das Böse dieser Tage? Es nutzt die prekäre Lage zu seinem Vorteil, um eigene Profite daraus zu erwirtschaften. Egal ob Mafia, Verschwörungstheoretiker, Kriminelle oder politische Gruppierungen, die Notlage, vor allem aber die Angst der Menschen wird schamlos ausgebeutet. Und es ist nicht Gott, der mit wirren Videos den ohnehin schon verunsicherten Geist unserer Tage zu verwirren sucht, sondern wir Menschen, oder vielmehr Menschen, die Ungutes im Sinn haben. Doch ich schweife ab …
Wir waren schließlich beim Positiven. Ich selbst sagte mir nun vor rund zwei Monaten, dass es auch in dieser schwerwiegenden Periode etwas Positives geben muss. Ich dachte nach und mir flog ein Begriff entgegen: Zeit.
Positiv für mich war im Grunde die massige Zeit, die die Menschen auf einmal unfreiwillig besaßen. Warum also nicht diese Zeit zum Lesen nutzen? Um mein Buch zu lesen.
Ein egoistischer Gedanke? – ich schätze nicht. Denn mein Ziel war schon immer, dass Leute lesen, was ich geschrieben habe, in der Hoffnung, sie damit unterhalten und ihnen Impulse mit auf ihren Weg geben zu können. Wie viele Nachrichten von Freunden erreichten mich doch die letzten Tage und Wochen, die allesamt darüber klagten, dass ihnen das Fernsehen und ständige Netflix-Serien Schauen mittlerweile zum Halse heraushängen würde, also warum nicht einfach mal wieder ein Buch zur Hand nehmen? Im Grunde nennt man das eine Win-Win-Situation.
Was die Sache mit Gott betrifft, so habe ich einen letzten abschließenden Gedanken, der mir, während ich dir gerade schreibe, in den Kopf geschossen kam, und ich möchte ihn dir mitgeben, ehe ich dich in die Nacht entlasse: Vielleicht kann Gott nur so gut sein, wie wir ihn gut sein lassen.
Bis dahin, halt die Ohren steif!