Guten Morgen, mein Freund,

diesen Brief wollte ich dir schon längst geschrieben haben. Seit gestern Abend um acht bin ich zurück in Freiburg in meiner kleinen Ein-Zimmer-Wohnung und blicke nun auf einen wunderschönen und sehr erholsamen Aufenthalt im Pfälzischen Landau zurück, da dort von den Strapazen Coronas wenig zu spüren gewesen ist oder man ihnen, besser formuliert, an diesem Ort leichter aus dem Weg gehen konnte. Die Zeit mit ausgewählten Familienmitgliedern meiner Freundin im großen, geräumigen Haus nahe den Weinbergen war ein Geschenk und ich habe sie sehr genossen.

Doch zurück zum Grund, aus dem ich dir heute Morgen schreibe, dem Grund, der mich des Tages erfreut und des Nachts am Schlafen hindert. Das Gefühl, das eigene Buch ganz plötzlich in Händen zu halten, ist schwer in Worte zu fassen. Ein simpler Akt des Herausziehens aus einer Kartonage und schon liegt es in der Hand. Doch der Gang zum Briefkasten einige Momente zuvor, während das Herz bis zum Hals empor pocht und das Zucken jedes Nervenstrangs vor Erregung und Ungläubigkeit den Körper elektrisiert, ist eine niemals zuvor verspürte Empfindung. Die Füße tragen den Körper ohne Anweisungen vom Gehirn erhalten zu haben, fremdgesteuert wird man von magnetischer Kraft angezogen, den Schlüssel rasch ins Schloss ohne Fehlversuch und schon hält man es in der Hand. Es ist noch verborgen, noch nicht ganz da, aber nicht mehr lange …
Jetzt, am heutigen Mittwochmorgen, schiele ich zum gefühlt hundertsten Mal hinunter auf den mir nur allzu bekannten roten Umschlag. Ich blicke hinab auf die geschwungenen feinen Federn, auf das Symbol, das mich während all der Zeit des Schreibens stets begleitet hat, und auf die Worte, welche die Mitte des Umschlags zieren und die ich vor so langer Zeit niedergeschrieben habe, damals noch auf einen Fetzen schlichten Notizpapiers.
Die Zeit schreitet dahin, unaufhörlich. Dinge, gestern noch unvorstellbar, morgen schon nicht mehr wegzudenken. Flüchtig sind die Gedanken an Tod und Schmerz, solange er nicht an die Türe klopft. Ich, für meinen bescheidenden Teil, bin sehr zufrieden, bin dankbar und zugleich von Euphorie durchstochen. Es gibt noch so vieles zu tun, so vieles zu schreiben, so vieles zu erleben. Aber fürs erste ist genießen angesagt.
Bis Bald!

PS: Die Erkenntnis des Tages erfolgt heute schon früh, denn es ist noch nicht einmal Mittag. Lang gehegte Träume, Ziele, Momente sind, wenn sie einmal erreicht sind, schnell durchlebt. Ihr wahrer Wert liegt darin, sie so lange wie möglich mit sich zu tragen und sich von ihnen zu nähren. Mindestens aber sie würdigend zu durchleben und derweil alles andere ruhen zu lassen.